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Vom Wagnis, moralisch und ohne Ironie zu sein

Vom Internet in den Urwald: Performerin Anna Mendelssohn zeigt im Tanzquartier ihr Solo "Amazon-River Deep"

 PORTRÄT: MARTIN PESL | FEUILLETON | aus FALTER 43/16 vom 27.10.2016

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Foto: Heribert Corn

Der Name Anna Mendelssohn klingt nach Ruhm. Um es also vorweg zu klären: Die gleichnamige britische Dichterin, auf die Anna Mendelssohn immer beim Selbst-Googeln stößt, trug ein Pseudonym. Es besteht keine Verwandtschaft zum Komponisten Felix und zum Philosophen Moses. Der kürzlich verstorbene Pyschoanalytiker Felix de Mendelssohn war ihr Vater. Damit ist Anna Mendelssohn die Enkelin der österreichischen Schriftstellerin Hilde Spiel.

Vor allem aber ist sie seit zwölf Jahren das Gesicht von Toxic Dreams. In den Stücken der wahrscheinlich produktivsten freien Performancegruppe Wiens fehlt die nunmehr 40-Jährige selten. Nur als ihre beiden Kinder auf die Welt kamen, pausierte sie kurz. Für Yosi Wanunu, den Autor und Regisseur von Toxic Dreams, führte Mendelssohn als aparte, augenzwinkernde Conferencière durch hochpolitische und tief nostalgische Abende.

Zuletzt durfte sie die Rolle der Showmasterin ablegen. In der gefeierten Theater-im-Theater-Screwball-Komödie "Thomas B or Not" spielte Mendelssohn eine Performerin der Off-Szene, die ihr Leben als Kunstwerk gestalten will. Das Augenzwinkern aber blieb. Die Produktion ironisierte die freie Szene ebenso wie die institutionalisierte Theaterwelt nach allen Regeln der Kunst.

In ihren eigenen Arbeiten versucht Anna Mendelssohn dafür, ohne den doppelten Boden der Ironie auszukommen und verweist auf ihre Mutter, Jutta Schwarz, die ebenfalls Schauspielerin ist. Sie wuchs in den 1970ern mit politischem Dokumentartheater und dem "armen Theater" Jerzy Grotowskis auf. "Damals hat man sich getraut, Dinge einfach zu sagen. Heute hat man Angst, moralisierend zu werden", zitiert sie Mendelssohn.

Diese Angst überwindet sie auch für "Amazon-River Deep", ihr neuestes Solo, das sie unter der Regie von Yosi Wanunu, aber ohne Toxic Dreams im Tanzquartier realisiert.

Die Idee zum Stück hatte sie, als ihr 2013 ein Kellner zum Kaffee ungefragt den Hinweis auf die ARD-Reportage über die Arbeitsbedingungen in den Hallen des globalen Onlinekonzerns servierte. Sie begann zu recherchieren und las alles über die zahlreichen Skandale des Unternehmens und die Weltherrschaftsfantasien seines Gründers. Von den Unmengen an Informationen ebenso überwältigt wie von deren problemloser Verfügbarkeit im Netz, ging sie aber einen Schritt weiter: "Amazon-River Deep" handelt nun von der Vision des Internets als Heilbringer und davon, wie sie sich selbst entzaubert hat. "Es hat so toll geklungen. Und wir sind zunehmend disenchanted", formuliert sie es.

Anders als in ihrer preisgekrönten ersten Arbeit "Cry Me a River"(2010), in der Mendelssohn sich vom großen Thema Klimawandel zunehmend ins Private hinunterarbeitete, steht hier von Anfang an eine Protagonistin und deren Sicht der Dinge im Vordergrund: Eine ehemalige Texterin für Amazon-Produktbeschreibungen macht sich frustriert zur digitalen Diät auf - in die Urwälder des Amazonas. Auf ironische Distanz zu verzichten heißt schließlich nicht, dass man sich jeden Wortwitz verkneifen muss.

Wie die meisten Arbeiten mit Toxic Dreams findet auch "Amazon-River Deep" auf Englisch statt. Der gebürtigen Wienerin fällt das leichter, da sie in London ihre Ausbildung absolviert hat und danach sofort ihr erstes Engagement bei Wanunu bekam. "Ich hatte Angst, auf der Bühne deutsch zu sprechen, weil ich wahnsinnig gewienert habe", erinnert sie sich. "Seither habe ich mich coachen lassen. Aber Englisch hat einfach eine Qualität, die im Deutschen an Leichtigkeit verliert." Nebenbei erhöht es die Wahrscheinlichkeit einer Einladung zu Festivals, wie es auch bei Mendelssohns früheren Arbeiten mehrmals der Fall war.

Gerade für das Publikum des Tanzquartiers ist eine internationale Ausrichtung längst kein Problem mehr. Mendelssohns Stücke werden hier seit Jahren gefördert, obwohl sie wenig bis gar keinen Tanz enthalten. "Die freie Tanzszene ist in Österreich viel ausgeprägter als die freie Theaterszene. Das hat damit zu tun, dass es gute Ausbildungsstätten für Tanz gibt, aber keine für so etwas wie performatives Theater." Dennoch war das stetige Arbeiten in freien Gruppen immer schon ihr Traum -im Unterschied zu vielen Kollegen, die bei aller Liebe zur Kunst die Sicherheit fester Ensembles an subventionierten Häusern herbeisehnen.

Nach dem Begräbnis ihres Vaters und zwei Premieren innerhalb weniger Wochen freut sich Anna Mendelssohn aufs Ausruhen. Womöglich mit einem Roman, auf den sie im Zuge ihrer Amazon-Recherchen gestoßen ist. Kunden, die ihre Performance gekauft haben, könnten sich nämlich auch für Jarett Kobeks "I Hate the Internet" interessieren. Freilich gibt es das Buch, will man es sofort und auf Englisch haben, nur auf Amazon. "Und dort will ich wirklich nicht einkaufen."

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